kreisrund, fast

 

geographische breite vierzig bis sechzig grad nord

 

 

Janusköpfige

 

cassiopeias stolz. was wäre schon los mit mir, wenn ich nicht auf einen anruf hoffte. was wäre an spannung? anspannung. hoffte? oder ihm entgegenfieberte, vielleicht? sonst ganz cool. einerseits. aber auch der albernen sehnsüchte voll. teilhaftig, mächtig, voll. andererseits. und das unbehagen, den roman andromeda zu nennen? beiläufige frage im telefonat: andromeda? gibt es sowas schon? und schon in der vorstellung die diebische freude, daß er es nicht weiß. vom fach, und weiß es nicht. reich-ranicki weiß es nicht. und wenn er nun nicht kommt, der anruf? andromeda, roman von jan marthens. es sind die fragen, und sie sind normal. zum zeitpunkt, da anna blume noch zu schlachten wäre. letztmalige überarbeitung. kunst ist schön, sagt valentin, macht aber viel arbeit. die beziehungen spielen lassen, schon mal. beziehungsreiche anspielungen.

 

 

Funkredakteure

 

perseus, der schlächter. ob er nun kam oder nicht, der anruf. es wird ein neues partikel geben für die bibliographie. wenn sie mir noch nützt in meinem alter. in meinem alter sind biographien keine seltenheit. bibliographien dito, gelegentlich statt abkömmlinge. kompensation. ob sie über mich herfallen oder nicht, es wird das partikel geben. im bauch die resonanz: geben wird, wird geben. coronare insuffizienz. mit einem schlag das schlangenhaupt. und keiner, nicht der geringste, muß künftig zu fels werden. versteinert vor dem monitor, dem tribunal des literarischen quartetts ausgeliefert. die feurigen zungen wüten im wald der sprache, schlachten hin. vor allem die in meinem alter. scharfzüngelnd. immer noch anspannung. dabei sind es nur wabrige zungen, näher besehen.

 

 

Marodieren

 

callisto. wie von zeus an den himmel der literatur geschleudert, erscheint das dritte schreibheft über die oberiuten. medusenhaupt das titelbild. und suhlen sich die kritiker in seinem blut, für das sie ihren schweiß halten. ganz transparent die kernfalten der zukunft. auszumalen zu einem fresko. fanal an vereinzelten weinhäuschen im tessin. holozän. literarischer ableger der toscana-fraktion. platen kam in einer italienischen kaschemme um. jedoch unfruchtbar. mit großer geste, wenn der himmel sich bläht über dem valle verzasca. die berühmten tessiner blähungen. siehe auch heine zu platen. antlitz der natur. aber fast ohne schwanz. und jetzt kommen die fahnen. nachschicken ins tessin, das wär's. wenn sie samstags kommen, die schwätzer aus kölnfrankfurtmünchen, das schreibheft und die fahnen gut sichtbar.

 

 

Angesichts

 

standhaft wie des nordens stern. weil sonst nichts bleibt als hoffnung. und die beziehungen natürlich. nun breitet sich die spieglung wie eine wasserlegende aus. fließt über. schwitters zeichnet auf der wasseroberfläche augen, die das mysterium der seele ahnen lassen. der neue roman. ob er nun erscheint oder nicht. ob das telefon erneut klingelt oder nicht. ob sich die augen noch soviel mühe geben. mystische mühe. inmitten des schimmels, als den ein vom polarstern leidenschaftslos niederblickender gott flora und fauna unseres raumschiffs identifizieren könnte. was nicht von mir ist, leider, sondern von lichtenberg. die flechte, die symbiose, das moos. die augen in meinem angesicht: das buch. und jede seite eine spieglung.

 

 

Moosweicher

 

ariadne mit der götterkrone des theseus. und ruht vor dem labyrinth. weich gebettet, ruhend nach der tat. wenn auch ein andrer der täter war. das spricht sich rum. und deshalb sticht das moos, läßt häßlichen ausschlag, eiternden abszeß entstehen. und das der liebe vis à vis. und der kanzler schämt sich nicht, sein volk zu lieben; worin ihm das kabinett folgt. ...wie dich selbst, darin liegt rechtfertigung. und darüber schreiben sie, die idioten. mein buch hingegen findet nur schleppenden absatz. krebsgang. jeden tag der kanzler, dem feuilleton vis à vis, als ob er der täter wäre. wenn er wenigstens noch ariadne gliche. aber das schon gar nicht. mich plagen nervöse zuckungen. wenigstens ein verriß, das bißchen mehr als nichts. und theseus stach zu.

 

 

Juckreizsyndrome

 

ikarios und seine tochter. die ähre, das sinnbild der fruchtbaren erde. der tag endet nicht ohne filigrane kopfarbeit an neuen plänen. wenn schon nicht der jetzige ertrag, dann ist es vielleicht der künftige, der anerkennung findet und widerhall. den ikarios erschlug man gar, weil man seinem wein nicht traute. die tochter aber trägt die ähre. der abkömmling. dann also wieder eines meiner speicherthemen, eine neue halle im merz-bau. kde. kathedrale des erotischen elends. kompensation schlürfe ich wie honig. ungeduld führt nicht nur zur schlaflosigkeit, auch zum alkoholismus. bemerkenswert, wie langsam die kritiker lesen. es sei denn, es stimuliert sie was. was? pekuniärer juckreiz.

 

 

Jetztzeitige

 

herkules, sohn der alkmene, melker der hera. auf die lange tour über die dörfer. zwölf heldentaten sollen es werden. hinter mir die spur der milchstraße. zeitig ohne frage. und großspurig. von zwei, drei bevorstehenden rezensionen will man wissen, gedankentief. und dann der ertrag der reise, tournee genannt. wohl keine bejubelung, so steht zu erwarten, eher eine belaberung, so steht zu befürchten. besprechungen. wie der medizinmann bei einem kranken. was fehlt mir? auf nach delphi oder klagenfurt. lotte in weimar, walser in kreuth. was immer. noch liebt der kanzler sein volk. die wahlen stehen an und die zeichen auf sturm. der literarische ertrag bliebe mager, steht zu lesen. dennoch, heißa, die klingen gekreuzt! plakatur, plakat-tour, litera-tour. auch nicht neu. aber noch so eben vor den ferien.

 

 

Auguren

 

die äpfel der hesperiden. der drache, den herkules erschlug. die herkuleskeule. goldene äpfel wie perlen vor die säue. und alle miesmacher wird die keule ereilen. eine sonate in urlauten ihnen um die ohren. eine mickrige spur nur zieht meine tour. kaum eine spur durch die kultur. eher durch die unterhaltungsspalten der regionalpresse. keineswegs die milchstraße. dabei kam ich mir wandelnd vor, wandelnd auf der ekliptik. peripathetisch. und erledigte nebenbei die feuerspeienden sprachklempner. von auktorialem gestus schrieb einer. geschwätz. sprache auf der spitze eines giftpfeiles balancierend. aber was bin ich für ein kerl, daß ich zu solchem schwachsinn animiere.

 

 

Sprachgewaltig

 

albireo im sternbild des schwan. ein doppelstern, der unser auge foppt. ...und das moralische gesetz in mir. daran mich aufzurichten, den jünger der aufklärung raushängen zu lassen, das wird's wohl sein müssen. was sie mir so um die ohren hauen. und daß ich mich wehre mit dem großen vierundneunziger lamento, das leistet nur wenig. es strahlen die doppelsonnen für sich: vater apparat und mutter kultur. und bedürfen sie nicht der leier, nicht der hymnen. solitär, himmelhoch, die frankfurtkölnmünchner bagage. von hamburg nicht zu reden. korona. schwer ist es mit dem schwanz zu geigen, vom cellospielen ganz zu schweigen. i think kreisler said so. yeah, man. so schrecklich albern. albireo. und bald sind wahlen. und die buchmesse. hallelujah. dann nochmal ran an die bouletten. und venus trägt gammellook. ich bin biertrinker. näher besehen: kein schlechter anfang für ein gedicht.

 

 

Ohne

 

orpheus, leda, antinous, selbst helena und amphitrite. das ist zuviel. plakatdrucke und vorarbeiten für einen kulturkalender, ein blatt für mein buch. die leier so schön zu spielen, daß selbst die steine weinen. und nun? die vermarktung vorantreiben oder den jüngeren plänen nachgeben, der filigranen gedankenornamentik? zeus, unerkannt, erobert leda. antinous, vom adler getragen, wird zum mundschenk der götter. die versuchung der astrologie. dem tastsinn der fingerkuppen, ihrem spiel auf der computertastatur nachzugeben, endlich nachzugeben. und den neuen plänen struktur einhauchen. die bekannte, abgeleierte geschichte mit der anschauung und den begriffen. ich lasse also die diffusen vorarbeiten gestalt annehmen. die fast vergessene gestalt tiefer liegender disharmonien. fein ziseliert wie schmiedearbeit an den toren zur anderen seite. das auf und ab der notenhälse, die schwarzen und weißen tontropfen. eigentlich der generalbaß für den krebsgang. das läßt sich hören.

 

 

Nennenswertes

 

phaeton oder hephaistos. der eine stürzt tief hinab, der andere wird am himmelszelt verewigt. die gedanken fliegen über das papier wie ein schwarm von leoniden. aufschwung oder absturz? morgens zeitungslektüre. im unübersichtlichen gemenge die hilflose suche nach konturen einer neuen politik. das feuilleton vis à vis wirkt gartenzwergisch. und jetzt nicht mehr erreichbar sein. man munkelt. oh, laß sie munkeln. alles käse, mahlers titan. für den basso continuo brauche ich die beatles. und heute aus dem kopf. auf die straße nur unter der schwarzen glocke einer konischen pellerine. kapuzenkopf. schwerelose leonidenschwärme, gedanken. was ist das für eine gesteinsschichtung von lebensablagerungen! erkennbar am besten im schallplattenschrank, dem sich inzwischen die cd-ständer gesellen, und im vordergründigen des bücherregals. mag paradox sein, aber der krebsgang erscheint im holozän.

 

 

Denken.

 

aldebaran im stier. inmitten der hyaden und plejaden. fixsterne, die keine sind. das alles kaputt zu machen, was ich mir zurechtgelegt habe, das alles kaputt zu machen: was wohl bei rum käme? all' die lügen und halbwahrheiten, na und? nichts als langweilig, ziemlich öde und langweilig. zweischneidig zudem. denn ich brauche sie ja doch: die legende zur entschlüsselung der psyche. die biographien sind meist verkarstet, es kömmt darauf an, was man draus macht. beton: es kommt drauf an, was man draus macht. hab' ich irgendwo gelesen. legenden haben den vorzug, wahr zu sein. hirngespinste. kreisende nebel, die sich durchdringen. und immer neue bilder kreieren. musikalische bilder. sprachbilder. die sterne existieren, weil wir von ihnen sprechen. sternbilder. achtundsechziger psychogramme. sirenengesänge. natürlich alles erfunden und geklaut. aber hauptsache, heras milch ergießt sich in das neue buch. die spur der milchstraße. man kann ja nie wissen -

 

 

Karl-Heinz Hense

im August 1996